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ERZDIÖZESE WIEN
Edina Kiss BSc., M.A.
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„Du studierst Theologie? Aha, und warum?“ – Früher oder später bekommt jede und jeder Theologiestudierende die Frage nach dem Grund für diese Studienwahl zu hören. Oft ist die Reaktion des fragenden Gegenübers skeptisch, manchmal sogar abgeneigt, eigentlich immer aber neugierig.
Warum sollte ein junger Mensch im Jahr 2023 katholische Theologie studieren? Damit kann man doch nur Priester oder Nonne werden und darf keinen Sex haben; auf jeden Fall kann man damit nicht Karriere machen und überhaupt sind die Kirche und der Glaube an Gott doch nicht mehr zeitgemäß – oder? Jede Theologiestudentin und jeder Theologistudent hat sich zwangsmäßig schon mit seinen oder ihren ganz persönlichen Gründen für das Theologiestudium auseinandergesetzt. Viele in meinem Umfeld haben sich bereits Standardantworten auf diese Frage überlegt. Doch was würde die Theologie selbst antworten, wenn sie gefragt würde?
Vielleicht stärker noch als die Religiosität und der Glaube an sich muss sich heutzutage die Theologie kritischen Anfragen stellen. Die größten Kritikpunkte sind wohl ihre Legitimität als wissenschaftliche Disziplin und ihre Zeitgemäßheit im 21. Jahrhundert. Aus diesen Gründen muss sich jeder junge Mensch, der Theologie studiert, laufend für sein Studium erklären, wenn nicht sogar dafür rechtfertigen.
Das Problem dabei ist: Die meisten Antworten auf die Frage „Warum zur Hölle Theologie?“ bleiben persönlicher Natur und können oftmals vom Gegenüber nicht nachvollzogen werden. Viele Theologiestudierende können selbst nicht so genau erklären, welchen Wert die Theologie hat. Denn: Warum Theologie wichtig ist, was sie zur Wissenschaft macht, welchen Zweck und Nutzen sie hat und wo sie sich im Wissenschaftsbetrieb, aber auch in der Gesellschaft verortet, wird im Studium nicht (ausreichend) behandelt.Zwar sollte geisteswissenschaftliche und theologische Bildung nie nur in ihrer Funktionalität oder ihrem Zweck für ökonomische oder politische Ziele aufgehen, dennoch muss sie einen Mehrwert darstellen.
Im Falle der Theologie wird dieser Mehrwert von einer Mehrheit der Gesellschaft nicht mehr erkannt. Gerade in einer Zeit, in der die Theologie massiv hinterfragt wird und in Zentraleuropa an gesellschaftlicher Bedeutung verliert, darf sie sich nicht in ihren Elfenbeinturm zurückziehen, sondern muss aktiv nach außen kommunizieren, welchen wichtigen Beitrag sie für Forschung und Gesellschaft leistet.
Im Falle der Theologie wird der Mehrwert von einer Mehrheit der Gesellschaft nicht mehr erkannt.
Fühlt sich die Theologie über solche Anfragen jedoch erhaben und überlässt das Feld nur anderen Fachrichtungen, kann erstens kein interdisziplinärer Dialog entstehen und zweitens darf sie sich dann nicht wundern, dass sie an Relevanz verliert. Dabei leistet die Theologie doch so viel – und das auf einer persönlichen und auf einer gesellschaftlichen Ebene.
Einordnung menschlicher Grundfragen
Bedeutung für das eigene Leben gewinnt die Theologie dort, wo sie sich mit essenziellen menschlichen Erfahrungen auseinandersetzt: Sie hilft bei der Einordnung menschlicher Grundfragen und Grunderfahrungen und beschäftigt sich mit dem Transzendenten. Dies ist in seiner Form oder Qualität zwar nicht objektiv darstellbar, dass Menschen transzendente Erfahrungen machen, ob und wie sie glauben, ist jedoch sehr wohl nachweisbar und rational begründbar. Das rechtfertigt auch die Auseinandersetzung mit Theologie an öffentlichen Universitäten.
Darüber hinaus gibt die Theologie Menschen eine Sprache im Angesicht substanziell-existenzieller Erfahrungen und bemächtigt sie, andere Menschen bei ähnlichen Erfahrungen zu begleiten. Gleichsam bietet sie in unserer pluralen Welt Orientierung und hilft beim Verstehen und Einordnen unterschiedlicher religiöser Phänomene. Die Beschäftigung mit der Theologie lehrt dementsprechend Reflexionskompetenz, Empathiefähigkeit und Ambiguitätstoleranz.
Für das Zusammenleben in unserer heutigen Gesellschaft hat die Theologie einen großen Wert, da sie sich mit Themen beschäftigt, die unterschiedliche Kulturen jahrtausendelang geprägt haben und so kulturelle Kenntnisse verleiht, die für die Teilhabe an der eigenen Kultur, aber auch das Miteinander essenziell sind. Dadurch verleiht das Theologiestudium auch interkulturelle Kommunikationskompetenz. Außerdem erfüllt die Theologie für unsere Gesellschaft eine konstruktive und kritische Funktion, denn jede Religion kann Menschen ermächtigen, aber auch unterdrücken.
Die Theologie hat hier eine Art „Aufpasserfunktion“, da sie den Glauben und die religiöse Praxis reflektiert und so fundamentalistische Aspekte von Religion, aber auch Verschwörungsmythen enttarnt. Hier offenbart sich besonders deutlich die Aktualität von Theologie, denn in unserer pluralen Welt in einem postfaktischen Zeitalter sind fundierte Informationen über die unterschiedlichsten religiösen Phänomene besonders wichtig.
Schlussendlich bietet die Theologie einen Ausweg aus unserer zweckgesteuerten Welt, indem sie lehrt, dass Fragen manchmal wichtiger sind als Antworten und indem sie eine Alternative zu den Fortschrittsidealen unserer Gesellschaft bietet.
Die Theologie erfüllt also wichtige Funktionen für Einzelpersonen und die gesamte Gesellschaft. Allein: Niemand außerhalb der „Theologie-Bubble“ weiß das. Ihren Wert und ihr Wesen muss die Theologie deshalb aktiv nach außen tragen: in erster Linie in die Hörsäle und Seminarräume und von dort aus weiter in die Welt hinaus.
Die Theologie erfüllt für unsere Gesellschaft eine konstruktive und kritische Funktion, denn jede Religion kann Menschen ermächtigen, aber auch unterdrücken.
Die unterschiedlichen Fachrichtungen der Theologie decken eine sehr große Bandbreite ab und jede dieser Fachrichtungen hat ihren eigenen Zugang zur Wirklichkeit, zum Transzendenten sowie zum Betreiben der Theologie. Die Beschäftigung mit der Frage, welchen Mehrwert die Theologie in unserer heutigen Gesellschaft leistet, sollte also nicht nur auf die Grundlagenforschung beschränkt sein, sondern von allen Fachbereichen vorangetrieben werden – und dann auch den Studierenden gelehrt werden. Die Beschäftigung mit der Bedeutung der eigenen Disziplin führt meiner Meinung nach in diesem Fall nicht zu einer Weltabgewandtheit und einem Rückzug in die eigenen Gefilde, sondern entwickelt produktive Kraft und kann dazu beitragen, die Stellung der Theologie zu stärken.
Persönliche Gründe für das Theologiestudium sind gut und wichtig. Sie reichen aber oftmals nicht aus, um die vielen Anfragen an die Theologie ausreichend zu beantworten und werden der Theologie auch nicht gerecht. Das Schöne an dieser Disziplin ist, dass die persönliche Begeisterung für das Fach als Grund für das Studium vollkommen ausreicht – im Theologiestudium dürfen Studierende abseits ökonomischer Hintergedanken existieren. Die Theologie erschöpft sich aber nicht nur in persönlicher Motivation. Genau das muss sie besser kommunizieren.
Oft genug hätten Theologiestudierende ja die Möglichkeit, den Mehrwert ihrer Studienrichtung theologiefremden Menschen näherzubringen.
Von 27. bis 29. Mai drehte sich beim DAHAM-Festival in Wien alles um Zugehörigkeit, Heimat und Verbundenheit von Menschen verschiedener Hintergründe. Fünf interaktive Straßenaktionen schufen Begegnungsorte. Fünf Events ermöglichten Diskussionen. Beim Wettbewerb der Stammtischtheologie wurde der Essay von Iris Ehgartner ausgezeichnet.
Das Anliegen des Festivals: durch Austausch mehr Verbundenheit zwischen Menschen zu ermöglichen. Das Team des Vereins „The Upper Room“ will einen offenen Raum schaffen, in dem junge Menschen in allen Lebensfragen begleitet werden. Die Initiative wird u. a. von der Erzdiözese Wien, von missio Österreich und vom Verein Jugend Eine Welt unterstützt.
Weiterlesen:
dahamfestival.com und upper-room.info
Iris Ehgartner kommt aus Wien und studiert katholische Religion und Deutsch auf Lehramt. Sie ist Mandatarin in der Studienvertretung Katholische Theologie.
Dieser Artikel stammt von Iris Ehgartner und ist im Sonntag erschienen.